Buch und KI
Eine etwas andere Betrachtung der Frankfurter Buchmesse 2024
Als Aussteller auf einer Buchmesse gewesen zu sein, ist ein interessantes Erlebnis. Vor Frankfurt und Leipzig, beides im Jahr 2024, waren es nur kleine regionale Publikumsbücherschauen, bei denen auch fleißig verkauft wurde – wenn denn jemand etwas kaufte. Frankfurt war und ist eine eigene, eine andere, Nummer.
In Stuttgart lief es gut, nachdem wir aufhörten, hinter unserem Tisch zu sitzen. In Leipzig lief es nach den beiden Veranstaltungen besser und wenn wir im Gang die Messegänger abfischten. In Frankfurt lief es ebenfalls dann brauchbar, wenn wir aktiv verkauften. Meine Bücher schienen etwas herausfordernder zu sein als die anderer Kolleginnen und Kollegen. Zu technisch, zu komplex, zu dick. Gut, ich habe trotzdem ganz gut verkauft.
Aber darüber wollte ich eigentlich gar nicht sprechen. Denn das, was eine nachhaltige Wirkung in meinem Denken eingetragen hat, war etwas anderes. Etwas, das in den ersten zweieinhalb Tagen die Gänge der Messe beherrscht hat, als noch kein „Lese-Publikum“, sondern in der Regel Fachleute die Gespräche auf den Ständen führten. Was auch immer die Messegesellschaft konkret unter „Fach-Publikum versteht, blieb allerdings für die, die wirklich etwas mit dem Buch und seiner Herstellung und Vermarktung zu tun haben, gelegentlich ein Rätsel. Nicht jeder, der mal über ein paar Bücher „gebloggt“ hat, ist vom Fach, liebe Messegesellschaft.
Durch ebendiese – wenigstens morgens – weitgehend leeren Gänge geisterte das manifeste Gerücht, dass viele mittlere Verlage in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckten. Die Gründe, die genannt wurden, waren vielfältig. Das Ergebnis selbst aber sichtbar: Entlassung bzw. Verkleinerung der Lektorate, Ausdünnung der Autorenlisten, immer weniger Debutchancen, sinkende Margen, weil Papier- und Druckkostensteigerungen nicht im erforderlichen Maß weitergegeben werden konnten, sinkende Honorare für Autorinnen und Autoren, Ersetzung von Übersetzerinnen und Übersetzer sowie Korrektorinnen und Korrektoren durch KI-basierte Lösungen, in denen der Mensch nur noch redigierte und/oder überwachte.
Wie sagte die Belletristikleiterin eines bekannten mittleren Regionalia-Verlags so treffend: „Zu groß, um klein zu sein, und zu klein, um bei den Großen mitspielen zu können.“
Ich kenne das gut. Mir und meinem Unternehmen aus dem IT-Sektor geht das schon seit fast vierzig Jahren so. Zum Glück haben wir inzwischen zwei Nischen gefunden, in den wir ganz ordentlich, aber durchaus nicht völlig risikofrei, Geschäfte machen können.
Doch die KI allein war es nicht. Der Druck des Selfpublishing – in seinen vielen Spielarten auf der Messe sehr präsent – tat und tut sein Übriges. Was zuletzt auch daran liegt, dass die Autorinnen und Autoren immer unzufriedener werden mit dem, was der Verlag für das gemeinsame Buch tut: Marketing bekommt faktisch nur noch der Tier-1-Autor, der sechsstellige Auflagen garantiert. Tier-2, das zwischen dreißig- und hunderttausend liegt, bekommt vielleicht noch Lesetermine vermittelt. Alles, was darunter spielt, also drei bis dreißigtausend bei Tier-3 und unter dreitausend bei Tier-4, bekommt nichts, keine Unterstützung, keine Lesetermine, keine Nennung auf den Social-Media-Kanälen. Rien du tous. Nichts, gar nichts, überhaupt nichts.
In Tier-4 bei den großen Verlagen wird oft nur noch ein E-Book publiziert. Wir mit den kleinen Auflagen sind das Kroppzeug. Braucht man und auch nicht. Vielleicht schafft es ja einer von uns per Zufall in eine Bestsellerliste oder bekommt einen Buchpreis.
Kein Wunder, dass man sich als Schreibender in einer solchen Lage zu fragen beginnt, warum man das Buch nicht gleich ganz selbst macht.
Gute Frage, nächste Frage. Ich habe mich bisher entschieden, den Lektor als Asset zu sehen. Mein aktueller ist eines. Meine Bücher wurden durch ihn viel besser. Ansonsten bleibt der Verlag allerdings komplett das schuldig, was seine eigentliche Aufgabe wäre: der aktiven Verkauf. Liegt wohl daran, dass ich kein Buch aus Tier-1 und Tier-2 vorweisen kann. Wobei bei meinem Verlag dazu kein/e einzige/r Autor/in eine solche Auflage erreicht.
Doch auch das beschreibt die Lage, in der sich das Büchermachen befindet, nicht in Gänze. Das eigentliche Thema, das alle umtreibt und verunsichert, heißt KI. Nach dem Ausstand amerikanischer Drehbuchautorinnen und -autoren, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie weiterer Filmschaffender ging ein erstes Raunen durch die gesamte Kunstbranche. Inzwischen klagen amerikanische Großautorinnen und -autoren samt ihrem Verband gegen ChatGPT und andere Anbieter ihre Urheberrechte ein, und wir in Deutschland und Europe be-klagen uns – zu klagen trauen wir uns nicht, weil viel zu teuer. Also versuchen wir es mit politischem Antichambrieren und Pressearbeit.
Mal schauen, was da rauskommt. Ich drücke den US-Kollegen die Daumen. Wenn sie gewinnen, geht vielen der Arsch auf Grundeis. Das wäre schön.
Apropos Pressearbeit: Die und die Verlage halten sich bisher äußerst bedeckt. Warum, ist klar. Weil sie offensichtlich selbst zu profitieren gedenken. Besonders in der Presse erscheint der Einsatz von KI sehr lukrativ. Das Geschäft läuft eh schlecht, und die Redaktionen sind mit das Teuerste auf der Kostenseite. Die ersten Kündigungen rollen schon, der Springer-Presse war so nett, diese Motivation offen einzuräumen. Ob hinter der Schließung der Redaktionsbüros der SZ in der Fläche um München das Gleiche steckt?
Genau: apropos Verlage, die zweite. Das wollen wir doch auch aufarbeiten. Wo sich der KI-Einsatz lohnt, sind die Übersetzungen von Sachbüchern, möglicherweise sogar deren Anfertigen. Jedenfalls fehlt nicht mehr viel.
Ein Serienheft für Jerry Cotton, Lassiter oder Perry Rhodan jedenfalls kann man locker mit KI schreiben. Ein bisschen Lektorieren, und fertig ist die Laube. Das gilt übrigens für alle ähnlichen Werke. So lassen sich ebenfalls die beliebten Ost- und Nordsee-Krimis mit Hilfe der KI locker anfertigen. Man gebe der KI drei Bände aus der Serie zu fressen, bastle einen groben Plot, und los geht’s. Nichts einfacher als das.
Aber soll ich dafür noch 99 Cent ausgeben, wenn das Geraffel aus der Maschine kommt?
Selbstredend gilt das auch für Drehbücher und Dramatisierung vorhandener Texte. Fernsehserien mit Ewigkeitscharakter: Kein Thema, die nächste Staffel schreibt die KI. Ja, die Drehbuchschreiber aus den USA hatten verdammt recht.
Doch damit nicht genug: Es wird nicht mehr lange dauern, bis ganze Filme, Musikproduktionen und sogar Podcasts komplett durch KI erstellt werden können. Was man braucht, ist eine gute Textvorlage oder einen frischen Songtext, und die entsprechende KI. Schon wird/ist die Sache erledigt. Wie weit man da schon ist, habe ich diese Woche durch den CTO meiner Firma gelernt. Es ist immer gut, wenn man nicht nur Autor ist. Denn von deren Tantiemen kann man i.d.R. allenfalls sterben, aber auf keinen Fall leben.
Nein, über Designer, bildende Künstler, Fotografen, Gestalter haben wir noch nicht geredet. Ja, die sind auch betroffen. Jetzt schon. Ebenso wie die Producer, Journalisten, Interviewer, Sprecher, Übersetzer etc. pp.
Alles klar, warum Autorinnen und Autoren und Verlage nicht an einem Strang ziehen? ‚It’s the economy, stupid.‘ Sie entscheidet nicht nur Wahlen. Nein, wenn es um disruptive Entwicklungen geht, entscheidet sie auch über Schicksale.
Fein. Dann haben wir das wenigstens verstanden. Nein, haben wir nicht. Denn jetzt machen wir gleich das nächste Fass auf, wenn wir schon einmal dabei sind.
Thalia, ein Name wie Donnerhall in der deutschen Buchbranche. Der größte Buchhändler, Tolino, der Android-Reader, der Thalia-Partnerschaft für Händler, von der sogar der Mitbewerber Osiander profitiert, nachdem ihn ein Cyberangriff und eine fehlgeschlagene IT-Umstellung so gut wie mattgesetzt hatte.
Thalia hatte nicht nur zwei gigantische Stände auf der FBM 2024, Thalia hatte auch etwas zu sagen. „Wozu brauchen wir den Zwischenhandel wie Zeitfracht, Libri und Co., wozu die Verlagsauslieferung“, waberte es aus deren Geschäftsführungsetage, wurde kolportiert, „wir teilen die Margen mit euch“, gemeint waren die Verlage. Doch wann brauchte es die noch, wenn alle Independent-oder Self-Publisher sind? Dann kann man deren Marge – die der Verlage wohlgemerkt – doch auch gleich einsparen, und wir Autorinnen und Autoren machen alles mit Tolino und Print-on-Demand by Thalia.
Da passte das nächste Gerücht, dass die Verlage an den Tantiemen herumschrauben wollen, mit dem Ziel, sie weit von den vom VSS in der GEW geforderten 10% auf weniger als 6% bei der Printauflage zu drücken – von den 50% für das E-Book, das einem kein Verlag ohne Aufstand einräumt, mal abgesehen.
Ob ich weiterhin schreibe? Ich schon. Aber ich schreibe ja auch um des Schreibens wegen und muss nicht davon leben. Kann das überhaupt noch jemand außer den Großverlagen – und eben Thalia? Oder dem heißgeliebten Amazon?
Nun, spätestens seit Auftauchen der KI eher nicht mehr. Wir, die wir die ganze tolle und manchmal auch richtig gute Literatur erfinden, wir Autorinnen und Autoren werden bestohlen, preisgedrückt und ausgebeutet. Doch, weil wir einfach schreiben müssen, schreiben wir weiter. Immer weiter. Wir können eben nicht anders.
Wir alle sterben allein. Nur diesmal tun es Kunst und Kultur mit uns.
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